Wrens Worte lassen mich aufsehen. ?Was??, frage ich verwirrt.
Er erwidert meinen Blick mit gerunzelter Stirn. Letztendlich atmet er ruckartig aus und reibt sich über den Nacken. ?Schon okay. Vergiss es.? Er steht auf und nickt in Richtung der Tanzfl?che, zu unseren Freunden, die in blaues und lilafarbenes Licht getaucht sind. Ihre Bewegungen sind ausgelassen, als h?tten sie keine einzige Sorge auf dieser Welt.
Seit ich denken kann, ist das unser Spezialgebiet. So zu tun, als k?nnte uns nichts und niemand etwas anhaben. Als w?re das Leben nur ein Spiel, in dem nichts von langer Dauer oder Bedeutung ist. In den letzten Wochen habe ich gelernt, dass wir uns einer Illusion hingegeben haben. Jeder ist angreifbar, und jeder hat etwas zu verlieren.
Ich schüttle den Kopf, aber Wren l?sst ein Nein nicht gelten. Er greift nach meiner Hand, zieht mich vom Sofa hoch und auf die Tanzfl?che. Die Jungs jubeln, als sie uns sehen, und ?ffnen den Kreis, damit wir uns zu ihnen stellen k?nnen. Ich versuche eine Weile, mich im Takt zu bewegen, aber es funktioniert nicht.
Ich will mich gerade bei den anderen entschuldigen und verkünden, dass ich doch wieder gehe, als mich jemand von hinten antanzt und einen Arm um meinen Bauch schlingt. Stirnrunzelnd drehe ich mich um – und sehe in Elaine Ellingtons Gesicht.
?James!?, ruft sie über die Musik hinweg und l?chelt mich an. Ihre honigblonden Haare sind gelockt und umrahmen ihr vom Tanzen leicht ger?tetes Gesicht. So schnell ich kann, schiebe ich ihren Arm von mir und verlasse die Tanzfl?che, um zu unserer Lounge zurückzugehen. Als ich dort ankomme, fühle ich mich seltsam au?er Atem. Ich bestelle mir ein Wasser und lasse mich auf das Sofa fallen.
Elaines Anblick hat sich wie ein Faustschlag in meinen Magen angefühlt. Die Erinnerungen an den Abend in Cyrils Pool, die ich ohnehin schon vierundzwanzig Stunden am Tag mit mir herumtrage, waren von einem Moment auf den anderen wieder so pr?sent, dass mich eine Woge von übelkeit überkommen hat.
Doch ich habe die Rechnung ohne Elaine gemacht. Nach einer Weile kommt sie zu mir und setzt sich mit überschlagenen Beinen neben mich.
?Was war das denn bitte für eine Begrü?ung??, fragt sie und f?hrt sich durchs Haar. Ihre Augen funkeln amüsiert. Sie sitzt so dicht neben mir, dass wir uns fast berühren. Sie rutscht noch ein Stück an mich heran. Mein ganzer K?rper erstarrt, als der Geruch ihres Parfums in meine Nase dringt.
?Ich wollte dir nur sagen, wie leid es mir tut, was mit deiner Mum geschehen ist. Wenn du mal reden m?chtest oder so – ich habe immer ein offenes Ohr für dich.? Sie legt ihre Hand auf meinem Bein ab und f?hrt damit langsam über den Stoff meiner Hose nach oben.
?Elaine, h?r auf?, sage ich mit fester Stimme und schiebe ihre Hand weg. Gleichzeitig rutsche ich zur Seite und sehe sie ernst an.
?Habe ich etwas falsch gemacht??, fragt sie überrascht.
Ich schüttle den Kopf. ?Nein. Ich bin derjenige, der alles falsch gemacht hat?, gebe ich zurück.
Elaine zieht eine Braue nach oben. ?Was ist denn mit dir los??
Ich zucke mit den Schultern, erwidere aber nichts.
Einen Moment lang sieht sie mich nur an, dann schüttelt sie den Kopf. ?Du warst auch schon mal besser drauf.?
?Tut mir leid?, sage ich. ?Aber ich kann das nicht mehr.?
Sie rutscht ein Stück von mir weg. ?Schade?, sagt sie und steht dann auf. ?Es hat echt immer Spa? mit dir gemacht.?
Sie verharrt noch kurz an Ort und Stelle, als würde sie darauf warten, dass ich sie zurückhalte. Als ich mich nicht bewege und starr geradeaus blicke, geht sie ohne ein weiteres Wort zurück auf die Tanzfl?che.
Ich lasse mich nach hinten sinken und starre an die Decke des Clubs. Zum ersten Mal f?llt mir auf, dass sich dort kleine Lichter befinden, die wohl Sterne darstellen sollen. Wie von selbst greife ich in meine Hosentasche, um mein Portemonnaie rauszuholen. Fahrig klappe ich es auf und greife nach dem Zettel, der hinter meinem Personalausweis versteckt ist. In den letzten Wochen habe ich es vermieden, mir die Liste anzusehen, aus Angst, ich würde mich danach noch fertiger fühlen als vorher. Ich halte den Zettel hoch, sodass die kleinen Lichter von der Decke beinahe hindurchscheinen. Punkt für Punkt lese ich, was Ruby mit mir gemeinsam aufgeschrieben hat. Ich schlucke schwer und merke, wie kratzig meine Kehle pl?tzlich ist.
In meinem Leben gab es noch nie jemanden, der sich so für mich interessiert hat wie Ruby. Ich hatte noch nie jemanden, an den ich morgens als Erstes denke und dessen Gesicht ich vor Augen habe, wenn ich schlafen gehe. Und es gab noch nie jemanden, der meine Tr?ume hat wahr werden lassen wollen.
Alles, was geschehen ist, hat mich ver?ndert. Ich bin nicht mehr dieselbe Person, die ich vorher gewesen bin. Aber wenn es eine Sache gibt, für die ich k?mpfen m?chte – dann ist das Ruby.