Seufzend ?ffne ich meine Zimmertür genau in dem Moment, in dem mein Handy ein Ping von sich gibt. Augenblicklich schnappe ich es mir vom Nachttisch. Mit zitternden Fingern ?ffne ich die Nachricht.
K?nnen wir reden?
Ich tippe meine Antwort so schnell, dass der Touchscreen des Handys nicht hinterherkommt, die W?rter alle falsch schreibt und ich noch mal von vorn anfangen muss.
Natürlich. Wann und wo?
Ich z?hle die Sekunden, bis James antwortet, und halte den Atem an, als mein Handy erneut leise pingt.
Ich würde gleich losfahren. Kann ich zu dir kommen?
Ich z?gere einen Moment. Ich habe James bisher nicht mal in unser Haus gebeten. Ihn jetzt meinen Eltern vorzustellen, w?re ein enormer Schritt.
Doch ich fühle tief in mir, dass ich dafür bereit bin. Ich kann wieder in seiner Gegenwart sein, ohne zu zerbrechen. Und sein Wunsch, mit mir zu reden, zeigt, dass es ihm trotz allem, was gestern geschehen ist, so geht wie mir.
Also setze ich zu einer Antwort an:
In Ordnung.
Danach laufe ich mit dem Handy in der Hand zurück nach unten. Mum und Dad sitzen inzwischen im Wohnzimmer. Dad ist schon wieder in seinen Kindle vertieft, w?hrend Mum begonnen hat, die Post der Woche zu sortieren. Vorsichtig trete ich zu den beiden und r?uspere mich.
?Ist es okay, wenn James gleich herkommt??, frage ich.
Mum h?lt mit dem Brief?ffner in der Hand inne und tauscht einen überraschten Blick mit Dad. Ihre Worte über Liebeskummer hallen noch immer in meinem Kopf nach, und es kostet mich einiges an Mühe, ihrem kritischen Blick standzuhalten.
?Schatz, wir wollen nur das Beste für dich?, beginnt Dad langsam. ?Und uns ist nicht entgangen, wie schlecht es dir den ganzen Dezember über ging.?
?Das war nicht meine Ruby?, stimmt Mum ihm leise zu. ?Ich m?chte eigentlich nicht, dass du dich wieder mit diesem Jungen triffst.?
Ich mache den Mund auf und schlie?e ihn wieder.
Meine Eltern haben mir noch nie irgendetwas verboten. Wahrscheinlich liegt das daran, dass es bei mir bisher auch nicht viel zu verbieten gab. Mein Leben hat sich immer nur um meine Familie und Oxford gedreht. Irgendetwas flammt in mir auf. Ich glaube, es ist eine Mischung aus Irritation und Zorn, weil sie das gesagt haben.
?James ist …? Ich suche nach den richtigen Worten. Ich habe keine Ahnung, wie ich meinen Eltern erkl?ren soll, was zwischen James und mir vorgefallen ist.
Vielleicht kann ich ihnen ja irgendwann begreiflich machen, wie viel James mir bedeutet. Und dass mein Herz immer an ihm h?ngen wird. Aber bis es so weit ist, brauche ich mehr Zeit. Ich wei? ja selbst nicht, was gleich geschehen wird.
?Bitte vertraut mir einfach?, sage ich schlie?lich und sehe sie flehentlich an.
Wieder wechseln die beiden einen Blick.
Mum seufzt. ?Du bist achtzehn, Ruby. Wir k?nnen es dir schlecht verbieten. Wenn dieser Junge herkommt, m?chten wir aber auch die Chance bekommen, ihn kennenzulernen.?
Ich nicke. Gleichzeitig frage ich mich, ob Mum über James und die Beauforts eventuell im Internet recherchiert hat. Der Gedanke ist mir zuvor noch nie gekommen, doch es würde mich nicht wundern, wenn ihre Skepsis auch darin begründet l?ge – schlie?lich wei? ich, was man online über James findet.
?Ist der Junge Vegetarier??, fragt Dad pl?tzlich und sieht fragend zu mir hoch.
Darüber muss ich kurz nachdenken. ?Ich glaube nicht.?
?Gut. Ich wollte heute n?mlich Spaghetti Bolognese machen. James ist eingeladen.? Das ist alles, was Dad dazu sagt. Danach wendet er sich wieder dem Kindle zu.
?Das ist eine tolle Idee?, stimmt Mum zu und l?chelt mich breit an. Sie gibt sich gro?e Mühe, nicht mehr so angespannt wie zuvor auszusehen, aber ein Funken Skepsis bleibt in ihrem Blick bestehen. Sie streicht Dad flüchtig über den Arm, dann schnappt sie sich den n?chsten Brief und macht ihn auf.
Ich glaube, das Gespr?ch ist beendet, also schleiche ich mich rückw?rts wieder aus dem Wohnzimmer. Dann gehe ich in die Küche, weil man von dort aus die Autos beobachten kann, die in unsere Stra?e einbiegen. Ember und ich haben als Kinder immer auf der Anrichte gesessen und nach unseren Verwandten Ausschau gehalten, wenn diese ihren Besuch angekündigt hatten.
Es dauert zehn Minuten, bis der Rolls-Royce um die Ecke kommt. Augenblicklich sprinte ich los. Auf keinen Fall soll James zuerst von Dad begrü?t werden, der ihn sicher mit Argusaugen beobachten würde.
Ich ?ffne die Tür, noch bevor James überhaupt aus dem Auto gestiegen ist. Die Luft ist immer noch frisch, und ich trete von einem aufs andere Bein, um mich aufzuw?rmen, aber es bringt nichts. Ich h?re auf, als James in meinem Sichtfeld erscheint. Er ?ffnet das kleine Holztor geübt und blickt dann auf. Als er mich entdeckt, h?lt er kaum merklich inne. Nur einen kurzen Moment verlangsamen sich seine Schritte, dann geht er durch den Vorgarten und die Treppe zu unserem Haus nach oben, bis er vor mir steht.