Rubys Hand bebt, als sie sie meiner entzieht. Dann erhebt sie sich vom Bett. Sie streicht erst ihren Pullover glatt und drückt dann ihren Pony nach unten. Es wirkt, als würde sie ihr ordentliches Erscheinungsbild wieder herrichten wollen, das, mit dem sie mir zwei Jahre lang nicht aufgefallen ist. Dabei ist dafür viel zu viel zwischen uns geschehen. Es gibt nichts, was je dafür sorgen k?nnte, dass sie wieder unsichtbar für mich wird.
?Ich kann das jetzt nicht, James?, murmelt sie. ?Tut mir leid.?
Im n?chsten Moment durchquert sie mein Zimmer. Sie dreht sich nicht noch einmal zu mir um und sieht mich auch nicht an, als sie mein Zimmer verl?sst und die Tür leise hinter sich schlie?t.
Ich bei?e die Z?hne fest zusammen, als das Brennen hinter meinen Augen zurückkehrt und meine Schultern erneut zu beben beginnen.
Ich wei? nicht, wie lange ich in meinem Bett gelegen und die Wand angestarrt habe, aber irgendwann raffe ich mich auf und gehe nach unten. Drau?en ist es l?ngst dunkel geworden, und ich frage mich, ob die Jungs überhaupt noch hier sind. Kurz bevor ich den Salon betrete, kann ich ihre leisen Stimmen h?ren. Die Tür ist einen Spaltbreit offen, und ich halte mit der Hand an der Klinke inne.
?Das ist doch nicht mehr normal?, murmelt Alistair. ?Wenn er so weitermacht, s?uft er sich irgendwann ins Koma. Ich verstehe nicht, wieso er nicht mit uns redet.?
?Ich h?tte in seiner Situation auch keinen Nerv zu reden.? Keshav. Es verwundert mich nicht, dass ausgerechnet er das sagt.
?Du kennst aber auch deine Grenzen. Bei James bin ich mir da nicht mehr so sicher.?
?Wir h?tten es gar nicht so weit kommen lassen dürfen?, schaltet Wren sich ein. ?Bis gestern hab ich wirklich gedacht, er will einfach nur Oxford feiern.?
Einen Moment lang ist es still, dann f?hrt Wren leise fort: ?Wenn er nicht darüber reden will, müssen wir das akzeptieren.?
Alistair schnaubt. ?Und weiter dabei zusehen, wie er sich selbst zerst?rt? Wohl kaum.?
?Du kannst ihm den Alkohol und die Drogen wegnehmen?, murmelt Wren. ?Aber seine Mutter ist tot. Und solange er das nicht akzeptiert, sind wir machtlos, so beschissen das auch ist.?
Ein eiskalter Schauer l?uft meinen Rücken hinunter. Sie wissen es bereits. Die Vorstellung, gleich in ihre mitleidigen Gesichter blicken zu müssen, dreht mir den Magen um. Ich m?chte das nicht. Ich m?chte, dass alles wie vorher ist. Doch wenn Rubys Besuch mir eines gezeigt hat, dann dass es jetzt an der Zeit ist, mich der Sache zu stellen.
Also lasse ich meinen Nacken knacken, kreise die schmerzenden Schultern und betrete den Salon.
Alistair will gerade etwas erwidern, presst aber die Lippen fest zusammen, als er mich entdeckt. Ich gehe schnurstracks zum Getr?nkewagen und hole eine Flasche Whiskey heraus. Nüchtern stehe ich das, was ich gleich tun werde, nicht durch. Ich schenke mir ein Glas voll und trinke es in einem Zug aus. Dann stelle ich es ab und wende mich den Jungs zu. Alle au?er Cyril sind anwesend. Alistair schwenkt den letzten Rest Flüssigkeit in seinem Glas hin und her, den Blick fest auf den Boden geheftet. Kesh sieht mich aus dunklen Augen abwartend an, genau wie Wren. Obwohl sie es bereits wissen, fühlt es sich wichtig an, die folgenden Worte laut auszusprechen:
?Meine Mum ist tot.?
Es ist das erste Mal, dass ich das sage.
Und es tut noch mehr weh, als ich erwartet habe. Dagegen kann auch der Alkohol nichts unternehmen. Genau deshalb habe ich es vermieden, mit ihnen zu sprechen. Reden ruft blo? noch mehr Schmerz hervor. Ich wende den Blick ab und starre auf meine Schuhe, um ihre Reaktionen nicht mit ansehen zu müssen. Noch nie habe ich mich so verletzlich gefühlt wie in dieser Sekunde.
Pl?tzlich h?re ich Schritte auf mich zukommen. Als ich aufblicke, steht Wren bereits direkt vor mir. Er schlingt einen Arm um mich und drückt mich fest an sich.
Müde lasse ich meine Stirn auf seine Schulter sinken. Meine Arme sind schwer wie Blei, und ich kann die Umarmung nicht erwidern. Trotzdem l?sst Wren mich nicht los. Kurz darauf kommen auch Kesh und Alistair zu uns und legen ihre H?nde auf meine Schultern.
Worte sind in diesem Augenblick nicht n?tig, zumal der Klo? in meinem Hals ohnehin verhindert h?tte, dass ich auch nur einen Ton herausbekomme. Es dauert eine Weile, bis ich mich wieder halbwegs im Griff habe. Irgendwann beginnt Wren, mich in Richtung Sofa zu schieben, w?hrend Alistair mir ein Glas Wasser holt und es mir stumm reicht.
?Das ist so schei?e?, murmelt Alistair und setzt sich neben mich. ?Und es tut mir wahnsinnig leid, James.?
Ich schaffe es nicht, seinen Blick zu erwidern oder etwas darauf zu sagen, also nicke ich nur.
?Was ist passiert??, fragt Kesh nach einer Weile.
Ich nippe z?gerlich an meinem Glas. Das kalte Wasser tut erstaunlich gut. ?Sie … sie hatte einen Hirnschlag, w?hrend wir in Oxford waren.?