?Ich bin blo? erk?ltet. Das wird bald wieder?, sagt sie tonlos und klingt dabei beinahe wie eine von diesen toten Computerstimmen, die man von Ansagen für Warteschleifen und Hotlines kennt, so als w?re sie durch einen Roboter ersetzt worden.
Ruby dreht sich mit dem Gesicht zur Wand und zieht die Decke noch weiter hoch – ein eindeutiger Hinweis, dass das Gespr?ch für sie beendet ist. Ich seufze und will gerade wieder aufstehen, da erregt ihr leuchtendes Handy auf dem Nachttisch meine Aufmerksamkeit. Ich lehne mich ein Stück nach vorn, um das Display sehen zu k?nnen.
?Lin ruft dich an?, murmle ich.
?Mir egal?, kommt es ged?mpft zurück.
Stirnrunzelnd sehe ich dabei zu, wie der Anruf abbricht und kurz darauf die Zahl der verpassten Anrufe auf der Anzeige erscheint. Sie ist im zweistelligen Bereich. ?Sie hat dich schon mehr als zehnmal angerufen, Ruby. Was auch immer passiert ist, du wirst dich nicht für immer verstecken k?nnen.?
Meine Schwester brummt blo?.
Mum hat gesagt, ich soll ihr Zeit geben, aber es f?llt mir mit jedem Tag schwerer, Ruby dabei zuzusehen, wie sie leidet. Man muss kein Genie sein, um eins und eins zusammenzuz?hlen und zu dem Schluss zu kommen, dass wahrscheinlich James Beaufort und seine bescheuerten Freunde bei der ganzen Sache ihre Finger im Spiel haben.
Allerdings dachte ich, dass Ruby das Thema Beaufort l?ngst abgehakt h?tte. Was ist also passiert? Und wann?
Ich habe versucht, die Situation so zu analysieren, wie Ruby es an meiner Stelle tun würde, und habe in Gedanken eine Liste angefertigt:
1. Ruby war in Oxford bei den Bewerberinterviews.
2. Als sie zurückgekommen ist, war noch alles in bester Ordnung.
3. Am Abend ist Lydia Beaufort vor unserer Tür aufgetaucht, und Ruby ist mit ihr verschwunden.
4. Danach war alles anders: Ruby hat sich verkrochen und seitdem kaum ein Wort gesprochen.
5. Warum???
Okay. Wahrscheinlich w?re Rubys Liste um einiges strukturierter, aber immerhin habe ich die Dinge in eine logische Reihenfolge gebracht und wei?: Was auch immer es war, es muss am Mittwochabend vorgefallen sein.
Aber wo ist Lydia mit ihr hingefahren?
Mein Blick wandert von Ruby, von der inzwischen nur noch der Haaransatz unter der Decke hervorschaut, zu dem Handy und wieder zurück. Sie wird er sicher nicht vermissen, da bin ich mir ziemlich sicher.
?Wenn noch irgendetwas sein sollte, ich bin nebenan?, sage ich, auch wenn ich wei?, dass sie das Angebot ohnehin nicht annehmen wird. Dann stehe ich mit einem extralauten Seufzen auf und greife dabei blitzschnell nach dem Handy. Ich schiebe es in den ?rmel meines lockeren Strickpullovers und gehe auf Zehenspitzen zurück in mein eigenes Zimmer.
Als ich die Tür leise hinter mir schlie?e, atme ich auf – und habe augenblicklich ein schlechtes Gewissen. Mein Blick zuckt zur Wand, als k?nnte Ruby mich von ihrem Bett aus sehen. Wahrscheinlich wird sie nie wieder ein Wort mit mir sprechen, wenn sie herausfindet, dass ich ihre Privatsph?re so missachtet habe. Gleichzeitig ist es als Schwester doch auch meine Pflicht, herauszufinden, wie ich ihr helfen kann. Oder?
Ich gehe zu meinem Schreibtisch und lasse mich auf dem knarrenden Stuhl nieder. Dann hole ich das Handy aus meinem ?rmel hervor. Meine Schwester macht ein riesiges Geheimnis daraus, was bei ihr in der Schule abl?uft, aber natürlich wei? ich, mit was für Leuten sie auf die Maxton Hall geht: Jungs und M?dchen, deren Eltern Adelige, Schauspieler, Politiker oder Unternehmer sind und in unserem Land so viel Einfluss haben, dass sie nicht selten in den Nachrichten Erw?hnung finden. Ich folge schon seit einer Weile ein paar von Rubys Mitschülern auf Instagram und bekomme auch mit, welche Gerüchte über sie kursieren. Allein die Vorstellung, was diese Leute Ruby angetan haben k?nnten, dreht mir den Magen um.
Ich z?gere nur einen kurzen Moment, dann entsperre ich Rubys Handy und tippe die Anrufliste an. Nicht nur Lin hat sie kontaktiert, auch eine Nummer, die nicht in ihrem Handy eingespeichert ist, taucht mehrfach auf. Kurzerhand rufe ich Lins Kontakt auf – immerhin ist sie die einzige Person von Rubys omin?ser Schule, die ich pers?nlich kenne. Ich hebe den H?rer z?gerlich an mein Ohr. Das Freizeichen t?nt nur einmal, dann wird abgehoben.
?Ruby?, h?re ich Lin atemlos sagen. ?Endlich. Wie geht es dir??
?Lin – ich bin’s, Ember?, unterbreche ich sie, bevor sie weitersprechen kann.
?Ember? Was …?
?Ruby geht es nicht besonders gut.?
Lin verstummt für einen Moment. Dann sagt sie langsam: ?Das ist verst?ndlich, nach dem, was passiert ist.?
?Was ist passiert??, bricht es aus mir hervor. ?Was zum Henker ist passiert, Lin? Ruby redet nicht mit mir, und ich mache mir unglaubliche Sorgen. Hat Beaufort ihr etwas angetan? Wenn ja, werde ich diese Kr?te …?