?Danke.? Ruby wirft mir einen unruhigen Blick von der Seite zu. ?Du denkst an unsere Abmachung, oder??
?Ich bleibe in deiner N?he und spreche nur mit Leuten, die du vorher absegnest?, zitiere ich sie.
Ruby nickt zufrieden.
Ich rolle mit den Augen. Ruby hat panische Angst, ich k?nnte mich mit Leuten anfreunden, die sie nicht für gut befindet. Dabei freue ich mich darauf am meisten. An diese Schule gehen S?hne und T?chter von Politikern, Schauspielern, Adeligen und Bankern, und es ist die perfekte Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen. Ich bin gut darin, Small Talk zu halten und mich mit Leuten anzufreunden, sobald diese bereit sind, mich zu sehen und mich nicht wegen meines Gewichts von Anfang an in eine d?mliche Schublade schieben.
Als wir die Boyd Hall betreten, hakt Ruby sich bei mir unter.
?Whoa?, murmle ich und sehe mich um.
Der Eingangsbereich des Saals ist prunkvoller als jedes Geb?ude, in dem ich jemals gewesen bin. Kaum zu fassen, dass das Teil einer Schule ist. W?hrend die Veranstaltungen von meiner Highschool in einer Sporthalle stattfinden, ist der Boden hier nicht kotzgrünes Linoleum, sondern gl?nzender Marmor. Die wei?en W?nde sind bestimmt fünf Meter hoch und mit wei?em Stuck und feinen goldenen Akzenten verziert. In der Mitte führt eine breite Treppe mit h?lzernem, geschwungenem Gel?nder in ein Obergeschoss mit Galerie.
Ich wei? gar nicht, wo ich zuerst hinsehen soll. Mein Blickfeld ist voller teurer Anzüge sowie Haute-Couture-Kleider aus Chiffon, Seide und Tüll, und mein Herz schl?gt immer schneller. Dabei ist das hier nur der Eingang.
Wir geben unsere Jacken an der Garderobe ab, dann ziehe ich Ruby in den eigentlichen Veranstaltungssaal, wo es mir komplett den Atem verschl?gt.
Die Boyd Hall sieht aus, als w?re sie einem M?rchen entsprungen. Ruby hat mir auf dem Weg hierher erz?hlt, wie viel Arbeit sie gestern noch hatten und was sie alles aufgebaut und geschmückt haben, aber niemals h?tte ich erwartet, dass es so traumhaft sein würde.
Kellner schl?ngeln sich mit Tabletts, auf denen Sektfl?ten mit Champagner und Orangensaft stehen, zwischen den Tischen hindurch, und an einem schwarzen Flügel auf der Bühne sitzt ein Pianist im Frack, der eine klassische Melodie spielt, die die ganze Halle erfüllt.
?Ich kann gar nicht glauben, dass du das alles organisiert hast?, wispere ich und sto?e Ruby meinen Ellenbogen leicht in die Seite.
?Das war das ganze Team?, gibt sie wie von selbst zurück. Sie kneift die Augen zusammen und betrachtet die runden Tische in der Mitte des Saals, an denen bereits vereinzelt G?ste Platz genommen haben, dann die langen Tische an der linken Seite, wo sp?ter vermutlich das Buffet aufgebaut sein wird. Ich kenne diesen Blick genau – Ruby kontrolliert, ob auch alles genau so ist, wie sie es sich vorgestellt hat.
?Ruby!?, erklingt eine Stimme, die ich definitiv nicht kenne.
Ich drehe meinen Kopf und entdecke einen blassen Jungen mit halblangem, dunklem Haar und hübschen, von dichten Wimpern umrahmten onyxfarbenen Augen. Er hat einen markanten Kiefer und hohe Wangenknochen, die irgendwie nicht zu dem jungenhaften Grinsen und seinen fr?hlich leuchtenden Augen passen wollen.
?Kieran, hi?, gibt Ruby zurück und setzt ein L?cheln auf, das ich an ihr so noch nie gesehen habe. Es ist h?flich, professionell, aber gleichzeitig irgendwie reserviert. Auf jeden Fall nicht das L?cheln meiner Schwester.
?Die Caterer sind vor zehn Minuten gekommen und bauen im Nebenzimmer bereits auf?, sagt Kieran, bevor sein Blick auf mich f?llt. ?Hi. Ich bin Kieran. Du bist bestimmt Ember.? Er streckt mir die Hand entgegen, und automatisch ergreife ich sie. Perplex sehe ich zu Ruby. Eigentlich hatte ich angenommen, dass niemand in dieser Schule über mich oder unsere Familie Bescheid wei?, schlie?lich hat Ruby zu Hause immer so ein riesiges Geheimnis aus Maxton Hall gemacht. Ich dachte, dass sie diese Trennung zwischen Privatem und Schulischem auf beiden Seiten strikt durchzieht. Dass dieser Junge hier meinen Namen kennt, irritiert mich also ein bisschen.
?Freut mich, dich kennenzulernen, Kieran?, sage ich.
Als Kieran meine Hand losl?sst, l?chelt er Ruby an, und seine Wangen f?rben sich unübersehbar rot.
A-ha.
Offensichtlich hat Ruby noch einen Verehrer an dieser Schule. Es überrascht mich nicht, dass sie mir nichts davon erz?hlt hat. Ruby spricht so gut wie nie über ihre Gefühle. Ich frage mich manchmal, wie Ruby so sein kann, ohne zu explodieren. Ich k?nnte das, was ich empfinde, niemals so zurückhalten – weder die guten noch die schlechten Gefühle. Wenn mir etwas nicht passt, sage ich das lautstark. Wenn ich glücklich bin, trage ich das automatisch nach au?en. Ruby ist kontrollierter als ich und viel weniger impulsiv.