?Ich wei??, flüstere ich.
So stehen wir unter dem Kronleuchter in der Mitte der Boyd Hall, direkt vor dem Technikpult. James h?lt mich sanft, sodass ich mich jeden Moment aus seiner Umarmung h?tte befreien k?nnen, wenn ich es gewollt h?tte. Doch dazu kommt es nicht, denn schon seit Ewigkeiten hat sich nichts mehr so richtig angefühlt – als w?re ich nach einer langen Reise endlich wieder zu Hause angekommen.
James’ H?nde auf meinem Rücken sind sanft, sein Atem kitzelt mein Haar, und seine Brust hebt und senkt sich im Gleichtakt mit meiner, w?hrend mir seine geraunten Worte das Gefühl geben, dass für uns vielleicht doch noch Hoffnung besteht.
19
Ember
Maxton Hall ist der verdammte Wahnsinn.
Natürlich habe ich damals, als sich Ruby für das Stipendium beworben hat, Fotos von der Schule im Internet angeschaut, aber das imposante Geb?ude in echt zu sehen, mit den Türmen, der hohen Fassade und den weichen Fensterb?gen, ist noch mal etwas ganz anderes.
Ruby ist noch nicht mal ganz aus dem Auto ausgestiegen, da habe ich schon fast den Parkplatz überquert. Nur mit Mühe gelingt es mir, den langen Saum meines dunkelgrünen Kleides aus dem Matsch herauszuhalten. Letzte Nacht hat es geregnet, und die Spuren davon sind immer noch überall. Auch wenn wir die Bilder für den Blogeintrag bereits gemacht haben, will ich meine erste Maxton-Hall-Party nicht in einem schmutzigen Kleid betreten.
?Warte mal, Ember?, h?re ich Ruby rufen, als ich an dem gro?en schmiedeeisernen Tor ankomme, durch das man auf den Vorhof der Maxton Hall gelangt. Es ist mit schn?rkeligen Zierelementen versehen, die am h?chsten Punkt des Bogens die Initialen der Schule formen.
Der Anblick ist atemberaubend.
Ich hole mein Handy heraus, schalte die Frontkamera an und halte es hoch. Ich versuche so viel wie m?glich von mir, dem Tor und der Schule im Hintergrund auf das Bild zu bekommen, aber es gelingt mir nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.
?Kannst du noch ein Bild von mir machen??, frage ich Ruby, als sie bei mir ankommt. Ohne auf ihre Antwort zu warten, schlüpfe ich aus meiner Jacke und halte sie ihr zusammen mit dem Handy hin. ?Es w?re perfekt, wenn die Schule im Hintergrund mit drauf ist. Sie ist so traumhaft sch?n beleuchtet.?
?Ein Foto?, sagt Ruby und bringt sich in Position. ?Dann gehen wir rein.?
Ich nicke. ?Jawohl.?
Ruby z?hlt bis drei, und ich strahle in die Kamera.
Danach gibt Ruby mir die Jacke zurück, wartet, bis ich sie wieder übergezogen habe, und reicht mir dann das Handy.
?Du siehst so sch?n aus?, sagt meine Schwester.
?Und du erst?, gebe ich wie von selbst zurück. Dann hebe ich das Handy hoch, schalte wieder die Frontkamera ein und ziehe Ruby dicht an meine Seite. ?Sag ?Cheese?!?
Zusammen grinsen wir in die Kamera. Nachdem ich mindestens zehnmal auf den Ausl?ser gedrückt habe, l?st Ruby sich von mir, und ich gehe schnell die Bilder durch.
Bei den Fotos von mir vor der Schule muss ich l?cheln.
Noch vor drei Jahren war es die reinste Tortur für mich, Kleidung zu finden, die nicht nur passt, sondern auch gut aussieht. Plus-Size-Sachen sind oft merkwürdig geschnitten, denn obwohl ich dick bin, habe ich eine Taille, und die meisten Designer scheinen zu denken, dass alle übergewichtigen denselben K?rperbau haben. Aber das entspricht nicht der Realit?t. Deshalb bin ich über die Fortschritte, die ich mit meinem Blog mache, umso glücklicher. Denn es erlaubt mir, an einem Abend wie heute ein solches Kleid zu tragen und mich so glamour?s wie noch nie zu fühlen.
Müsste ich meine Gefühle in Buchstaben beschreiben, würde das Ganze ungef?hr so aussehen:
KDJGDHUSGüAOHBS!
Was mich darauf bringt, dass ich vermutlich ein bisschen zu viel Zeit mit meinem Laptop verbringe.
?Ember? Kommst du??
Ich hole schnell zu Ruby auf, die auf die Uhr ihres Handys linst. Wir liegen gut in der Zeit, sind wahrscheinlich sogar zu früh, aber meine Schwester ist trotzdem total aufgekratzt. So ist sie immer vor den Veranstaltungen, die sie für die Maxton Hall organisiert. Ich frage mich, woher sie die Energiereserven für die Vorbereitung dieser Partys nimmt. Ich bin schon mit meinen Hausaufgaben und meinem Blog rund um die Uhr besch?ftigt und muss mich nicht nebenbei auch noch auf Abschlussprüfungen und ein Studium in Oxford vorbereiten. Manchmal kommt es mir vor, als w?re sie eine Maschine – eine Maschine, die ab und zu ganz sch?n dunkle Ringe unter den Augen hat. Mum fragt sie ?fter, ob es nicht alles ein bisschen viel auf einmal ist, aber Ruby beteuert, dass ihr die Arbeit Spa? macht. Und das glaube ich ihr auch.
?Das wird schon alles?, sage ich, aber ich fürchte, meine Stimme hat nicht den beruhigenden Effekt, den ich erreichen wollte. Dafür bin ich viel zu abgelenkt und hibbelig.