W?rme breitet sich bei seinen Worten in meinem K?rper aus. Ich greife nach James’ Arm und drücke ihn flüchtig. ?Ich werde nicht verschwinden. Au?erdem mag ich Coq au vin.? Ich hebe meine Tasche hoch. ?Und ich habe Eis dabei.?
?Ich bringe das schnell in die Küche?, sagt Lydia. ?Geht ihr schon mal vor.?
James’ Hand liegt auf meinem unteren Rücken, als wir das Esszimmer betreten. Der Raum ist riesig, mit hohen W?nden und breiten Fenstern, durch die man auf den hinteren Teil des Beaufort-Anwesens blicken kann. Das dunkle Grün, in dem die W?nde gestrichen sind, findet sich in den Bezügen der Stühle wieder, und über dem langen Esstisch aus gl?nzendem dunklem Holz h?ngt ein imposanter Kronleuchter, der locker mit denen in den Tanzs?len der Maxton Hall mithalten k?nnte. Der Tisch ist professionell eingedeckt, mit mehreren Besteckgarnituren, hübschem Porzellan und Weingl?sern mit goldenen Akzenten.
Aber es ist nicht nur die Einrichtung und Dekoration, die dieses Esszimmer – falls man es überhaupt so nennen kann – von unserem Zuhause unterscheidet. In erster Linie ist es die Stimmung, die hier herrscht. Sie ist angespannt und unterkühlt und kein Vergleich zu der warmen, lockeren Atmosph?re, in der ich aufgewachsen bin.
Genau wie damals in der Schneiderei in London füllt Mortimer Beaufort auch hier mit seiner Pr?senz den gesamten Raum. Seine abweisende Art und die K?lte in seinem Blick sorgen dafür, dass keine Chance besteht, sich auch nur ann?hernd wohlzufühlen. Es ist erstaunlich.
Ich k?nnte mir niemals vorstellen, mit diesem Mann in einem Haus zu leben.
Wir nehmen nacheinander Platz, Mr Beaufort am Kopf des Tisches, James auf seiner linken Seite, ich direkt daneben und gegenüber von uns Lydia. Zwei Küchenhilfen betreten den Raum und stellen vor jedem von uns einen tiefen Teller mit Suppe ab, von der ein k?stlicher Geruch ausgeht. Ich tue es James und Lydia nach und breite die gefaltete Stoffserviette auf meinem Scho? aus.
?Auf einen sch?nen Abend?, sagt Mr Beaufort und hebt sein Glas hoch.
James und Lydia murmeln etwas Zustimmendes, und auch ich hebe mein Glas.
Das ist schon jetzt der unangenehmste Abend, den ich seit Langem erlebt habe.
Die ersten zehn Minuten verbringen wir schweigend. Es ist so still im Raum, dass es mir unnatürlich laut vorkommt, wenn ich schlucke oder mein Glas auf dem Tisch abstelle. Krampfhaft überlege ich, ob es irgendetwas gibt, was ich sagen k?nnte – oder sagen sollte. Doch mir f?llt beim besten Willen nichts ein.
Ich wage einen Blick zu James, der mir ein schmales L?cheln schenkt.
Schlie?lich erhebt Lydia das Wort. ?Die Charity-Gala ist gut gelaufen, oder, Ruby? Ich h?re nur Positives.?
Ich bin erleichtert darüber, dass sie ein Thema gew?hlt hat, mit dem ich mich auskenne und über das ich sprechen kann. ?Total. Es sind über zweihunderttausend Pfund zusammengekommen, was unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen hat.?
?Wow?, sagt Lydia. ?War Lexington zufrieden??
Ich nicke. ?Ja, er ist zum Glück meistens zufrieden mit uns.?
?Bis auf wenige Ausnahmen?, murmelt James.
Als ich den Kopf zu ihm drehe, schmunzelt er in sein Glas.
Ich wei?, woran er gerade denkt. Der Tag, an dem wir nebeneinander vor Lexingtons Schreibtisch sa?en und James zu der Strafarbeit im Veranstaltungskomitee verdonnert wurde, ist auch in meiner Erinnerung noch so pr?sent, als w?re es erst gestern geschehen. Ich erwidere sein Grinsen.
?Gut, vielleicht bis auf eine Ausnahme. Aber das hatte ja wohl kaum was mit mir und meinem Team zu tun.?
?Ruby?, unterbricht Mr Beaufort unser Gespr?ch, und ich merke, wie das Grinsen augenblicklich von meinem Gesicht rutscht. ?Wie ich h?re, sind Sie in der Schule sehr aktiv.?
?Ja. Ich bin seit zwei Jahren im Veranstaltungskomitee.?
Er nickt knapp. Man erkennt die Regung kaum. ?Soso.?
?Ruby leitet das Veranstaltungskomitee?, sagt James, ohne von seiner Suppe aufzusehen.
Sein Vater beachtet ihn nicht. ?Und wollen Sie auch studieren??
?Ich gehe im Herbst nach Oxford.?
Mr Beaufort blickt interessiert auf, und zum ersten Mal an diesem Abend habe ich das Gefühl, dass er mich wirklich wahrnimmt.
Ich halte die Luft an. Alles in mir str?ubt sich, mit diesem Mann über Oxford zu sprechen. Das ist etwas, was mir heilig ist, und ich m?chte es mir nicht von jemandem kaputtmachen lassen, der keine Ahnung hat, was mir die Tatsache, an dieser Universit?t studieren zu k?nnen, wirklich bedeutet.
?Ach, wirklich? Für welchen Studiengang haben Sie sich entschieden??
?PPE?, gebe ich zurück.
?Das ist ein solider Studiengang. Und an welches College verschl?gt es Sie??
?St Hilda’s, Sir.?
Er nickt. ?Also dasselbe College, das auch James angenommen hat. Wie praktisch.?