W?hrend er gegenüber von mir Platz nimmt, werfe ich einen Blick durch die Fenster. Der Ausblick ist atemberaubend. Noch kann man die gro?en Felder rund um Pemwick sehen, doch ich bin mir sicher, dass die grüne Hügellandschaft innerhalb der n?chsten halben Stunde im Dunkeln liegen wird.
Ein Kellner erscheint wie aus dem Nichts und stellt eine Karaffe Wasser auf den Tisch, bevor er die Speisekarten vor uns legt. Ich bl?ttere sie durch und blicke immer mal wieder auf, um James anzusehen. Ich frage mich, ob ich so aufgeregt bin, weil das mein erstes offizielles Date mit einem Jungen ist – oder weil es James ist, der mir gegenübersitzt und mich über sein Glas hinweg anl?chelt.
Ich erwidere das L?cheln. ?Es ist wirklich sch?n hier.?
?Finde ich auch. Mum ist hier manchmal mit Lydia und mir essen gegangen. Ich verbinde viele sch?ne Erinnerungen mit diesem Wintergarten?, gibt er zurück.
Ich empfinde bei diesen Worten so viel Zuneigung zu James, dass mir ganz warm wird. Dass er diesen Ort mit mir teilen m?chte, berührt mich – gerade weil ich wei?, wie schwierig die Beziehung zu seiner Familie für ihn ist.
?Danke, dass du mich hierher eingeladen hast.?
über den Tisch hinweg greife ich nach seiner Hand und streichle sie sanft. James’ Blick verdunkelt sich.
?Ich m?chte dir zeigen, dass es nicht nur eine Bürde ist, Zeit mit mir zu verbringen. Sondern mehr sein kann.?
?James –?, fange ich an, doch da kommt der Kellner zurück an unseren Tisch und nimmt unsere Bestellungen auf. Ich entscheide mich für Gnocchi mit Ziegenk?se, w?hrend James gefüllte H?hnchenkeule w?hlt. Danach sind wir wieder allein, und ich überlege krampfhaft, wie ich an das Gespr?ch von eben anknüpfen kann. Manchmal wünsche ich mir, ich w?re so ein Small-Talk-Genie wie Ember. Ihr f?llt in jeder noch so aufgeladenen Situation ein Eisbrecher ein.
?Ich habe mir übrigens einen Account auf Goodreads erstellt?, sagt James unvermittelt.
Ich horche auf. ?Wirklich??
Er nickt. ?Ich will die Liste angehen. Die … die wir in Oxford gemacht haben.? Er r?uspert sich, und ich kann die Erinnerung an jene Nacht f?rmlich hinter seinen Augen aufflackern sehen. ?Die Bücher schienen mir ein guter erster Schritt zu sein.?
?Das finde ich so toll!?, platzt es aus mir raus. ?Was steht alles auf deiner Leseliste??
James’ Mundwinkel zucken verd?chtig. Dann holt er sein Handy raus und ?ffnet die App. Er tippt kurz darauf rum und blickt dann wieder auf.
?Okay, also: Ich habe Death Note gelesen?, sagt er.
?Habe ich gesehen?, bemerke ich. ?Und was sagst du??
?Es war genial. Nur eine Sache hat mich extrem gest?rt?, sagt er ernst.
?Ich glaube, ich wei? auch, was es ist?, erwidere ich.
?Das war einfach … Ich konnte es nicht fassen. Danach h?tte ich die Reihe fast abgebrochen.? James zuckt mit den Schultern. ?Aber du hattest schon recht mit dem, was du gesagt hast.?
Ich sehe ihn fragend an.
?Damit, dass einem ein wichtiger Bestandteil der Allgemeinbildung fehlt, wenn man es nicht gelesen hat.?
Ich stutze. ?Daran erinnerst du dich noch??
Er legt den Kopf schr?g. ?Natürlich erinnere ich mich noch daran. Ich erinnere mich an alles, Ruby.?
Ich schlucke schwer. ?Ich mich auch?, sage ich leise.
In James’ türkisblauen Augen liegt etwas, was ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen habe, und in mir keimt ein Verlangen auf, so pl?tzlich und heftig, dass ich mich r?uspern und nach meinem Wasserglas greifen muss.
?Zeig mir deine Leseliste?, kr?chze ich.
James blinzelt ein paarmal, als br?uchte auch er einen Moment, um sich zu sammeln. Dann schiebt er mir sein Handy über den Tisch zu. Ich schaue mir seine ?Gelesen?-Liste an und bin überrascht, was dort bereits alles aufgeführt ist – einige Mangas, aber auch eine ganze Reihe klassischer Kinder-und Jugendbücher wie Harry Potter, Percy Jackson oder die Werke von John Green und Stephen Chbosky.
?Wann hast du die denn alle gelesen??, frage ich ihn überrascht.
Er hebt unschlüssig eine Schulter. ?Meistens nachts, wenn ich nicht schlafen konnte. Oder in den Pausen in der Schule. Ich habe nach irgendetwas gesucht, womit ich mich ablenken kann, und mit Büchern funktioniert das gut. Und jetzt habe ich mir irgendwie angew?hnt, vor dem Schlafen zu lesen.?
?Es ist eine tolle neue Angewohnheit.? Ich scrolle mich weiter durch seinen Account. ?Darf ich ein paar Bücher auf deine ?Want to Read?-Liste setzen??
?Tu dir keinen Zwang an. Ich folge inzwischen auch schon ein paar Buchbloggern, deren Empfehlungen ich mir manchmal ansehe.?
Ich schüttle l?chelnd den Kopf. James und seine Blogs. Er muss sich echt mal mit Ember zusammensetzen, denke ich, als ich nach und nach seine Liste fülle.