Ich klicke zurück auf die normalen Suchergebnisse. Direkt unter der Bilderreihe befinden sich unz?hlige neue Artikel, die meisten davon über Cordelia Beauforts pl?tzlichen Tod. Diese will ich mir nicht durchlesen. Sie gehen mich nichts an, und in den Nachrichten wurde bereits genug darüber berichtet. Ich scrolle weiter, bis unter den Ergebnissen James’ Instagram-Account auftaucht. Wie von selbst ?ffne ich die Seite.
Sein Profil ist eine bunte Mischung aus verschiedensten Fotos. Es zeigt Bücher, die spiegelnde Fassade eines Wolkenkratzers, eine Nahaufnahme von einer mit Stuck besetzten Wand, Sitzb?nke, verwinkelte Treppenstufen, London aus einem Flugzeug von oben fotografiert, seine in Lederschuhen steckenden Fü?e auf einem Bahnsteig, ein Fenster, durch das die Morgensonne scheint. W?ren zwischendurch nicht immer Fotos von ihm mit seinen Freunden oder Lydia zu sehen, h?tte ich dieses Profil niemals James zugeordnet.
Auf den Bildern mit den Jungs hat James das Grinsen im Gesicht, das mich immer um den Verstand gebracht hat – das Grinsen, das so unfassbar arrogant, aber gleichzeitig so mühelos attraktiv ist, dass man einfach Magenkribbeln bekommen muss.
Ein Foto sticht mir besonders ins Auge. Es ist von James und Lydia, und beide lachen. Ein seltener Anblick. Ich kann mich nicht erinnern, Lydia jemals lachen geh?rt zu haben. Bei James hingegen brauche ich nur das Bild anzusehen, um das vertraute Ger?usch in meinen Ohren zu haben. Das Kribbeln in meinem Magen wird durch ein wehmütiges Ziehen ersetzt. Mir fehlt James’ Lachen. Ich vermisse seine Art, seine Stimme, unsere Gespr?che … einfach alles.
Kurzerhand speichere ich das Bild auf meinem Desktop ab. Ich wei?, wie bescheuert das ist, aber das ist mir egal. Ich gehe in allen Bereichen meines Lebens stets bedacht und rational vor. Dieses eine Mal erlaube ich mir, mich von meinen Gefühlen leiten zu lassen.
Die obersten Fotos auf James’ Profil werden von Beileidsbekundungen überschwemmt. Ich überfliege die Kommentare und schlucke schwer. Einige sind nicht nur taktlos, sondern geradezu grausam. Ob James sich das überhaupt alles durchliest? Was er dabei wohl empfindet? Wenn ich es schon schrecklich finde, dann will ich gar nicht wissen, was in ihm vorgehen muss.
Ein Kommentar sticht mir besonders ins Auge, weil er an Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffen ist.
xnzlg: wer fotos von der beaufort beerdigung will, schaut auf meinem profil vorbei
Mein Finger verharrt über dem Touchpad, und eine wütende Hitze breitet sich auf meinen Wangen aus. Ich klicke auf das Profil, um es zu melden – und erstarre.
Der komplette Instagram-Feed von xnzlg besteht aus Bildern von James und Lydia. Die beiden, in Schwarz gekleidet, auf dem Friedhof. Sie stehen aneinandergelehnt und geben sich gegenseitig Halt. James hat einen Arm um Lydia geschlungen und h?lt sie dicht an seiner Seite, das Kinn auf ihrem Kopf abgestützt.
Tr?nen schie?en in meine Augen.
Wieso tut man so etwas? Wieso fotografiert man diesen schlimmen Moment im Leben einer Familie, die ohnehin schon gebrochen ist, nur um diese Bilder dann im Internet zu posten? Niemand hat das Recht, derart in ihre Privatsph?re einzudringen.
Mit einer Hand wische ich mir über die Augen. Ich versuche, mich auf der Seite von xnzlg zurechtzufinden, und melde das Profil. Direkt danach markiere ich die Kommentare unter James’ Bildern als Spam, bis sie verschwinden.
Das ist das Einzige, was ich in dieser Sekunde tun kann, aber es reicht nicht. Die Fotos haben alle Gefühle, die sich im Laufe der letzten Woche in mir angesammelt haben, aufgewirbelt, sodass ich sie kaum noch kontrollieren kann. Das Mitleid, das ich für James und Lydia empfinde, ist überw?ltigend.
Ich klappe meinen Laptop zusammen und schiebe ihn zurück in die gepolsterte Hülle, dann greife ich nach meinem Handy und ?ffne eine neue Nachricht. Ich entschlie?e mich dazu, Lydia zu schreiben.
Ich wei? nicht, ob sie ihrer Familie mittlerweile von ihrer Schwangerschaft erz?hlt hat, aber sie soll auf jeden Fall wissen, dass sich nichts ge?ndert hat und ich trotz allem für sie da bin, wenn sie mich braucht. Ich ?ffne eine neue Nachricht und tippe:
Lydia, mein Angebot steht. Wenn du reden m?chtest, dann sag Bescheid.
Nach einigem Z?gern schicke ich die Nachricht ab. Danach starre ich auf das Handy in meiner Hand. Ich wei?, dass es die vernünftige Entscheidung w?re, es wieder wegzulegen. Aber ich kann nicht anders. Wie von selbst ?ffne ich James’ und meinen Nachrichtenverlauf.
Kaum zu glauben, dass seine erste Nachricht an mich etwas mehr als drei Monate zurückliegt. Es fühlt sich an, als w?ren seit dem Abend, an dem James mich nach London zu Beaufort eingeladen hat, Jahre vergangen. Ich erinnere mich an den Moment, in dem wir gerade die viktorianischen Kostüme anprobiert haben und seine Eltern überraschend aufgetaucht sind. Mein erster Gedanke, als ich Cordelia Beaufort gesehen habe, war ?Ich will wie sie sein?.